Ich war lange der Meinung, dass Bildung den Menschen von Religion oder besser gesagt den Engen eines gelenkten Weltbildes befreit. Heute bin ich realistischer und gehe davon aus, dass sie über kurz oder lang zwar die augenfälligsten Absurditäten entlarvt, den Motor, der den „Glauben“, ob sinnlich oder transzendental, antreibt, wird sie nicht lahmlegen können.
Und trotzdem braucht es ein rigoroses Bekenntnis zur Vernunft. Auf Unbeantwortbares gibt es keine Antworten. Jeder, der das Gegenteil behauptet belügt sich selbst und andere. Pragmatismus ist eine Grundeinstellung. Er liefert funktionierende Rezepte und lockt niemanden mit esoterischem “Geheimwissen”.
Es mag als Versäumnis der Aufklärung gelten, dass sie den Fokus auf naturwissenschaftlich-technische Aspekte setzte, wodurch die emotionale Schulung bis heute hinterherhinkt. Nach dem Ethikunterricht kennen die jungen Menschen grosse Worte wie Sinn, Würde, Menschenrecht, Respekt und Toleranz, dieses Wissen in einen grösseren Zusammenhang zu stellen, es mit Bedeutung auszustatten, dazu braucht es dann noch unzählige Lehrjahre ausserhalb des Klassenzimmers.
Die Natur, und mit ihr den Menschen zu enträtseln heisst nicht, sie ihres Zaubers zu berauben. Auch der Botaniker kann sich an der Schönheit der Rose erfreuen, dass sie morgen schon welkt mindert ihren süssen Duft in keiner Weise. Ob wir mit den Veden, der Bibel, Charles Bukowski oder Rosamunde Pilcher im Gepäck auf unserem Staubkorn durchs Universum rasen, ändert nichts an dessen Gleichgültigkeit. Aber es entscheidet darüber, wie wir die Reise erleben. Das Leben ist, um mit La Bruyère zu sprechen, eine Tragödie für die, die fühlen, und eine Komödie für die, die denken.
Die “existentielle Kälte” wird durch Humor etwas erträglicher. Doch letztlich sind wir alle in einem Dilemma gefangen: Der gebildete Gläubige ändert keine Strophe am “Vaterunser”, obwohl seit Juri Gagarin bekannt ist, dass im Himmel niemand wohnt; der romantische Agnostiker hat auch ohne Gott eine Seele und nennt seine Liebste einen “Engel”, er verschenkt ihr sein Herz, wenngleich er der Pumpe in der Brust jegliche Sentimentalität abspricht.
Glaubensgemeinschaften stillen das Bedürfnis nach menschlicher Nähe, einem geistigen Zuhause. Aber nicht jede Stube, ist sie auch warm und wohlig, ist gesund, und einige vergessen dabei, dass Gemeinschaft nie gratis zu haben ist.
In diesem Sinne wünsche ich auch dieser Gemeinschaft, neudeutsch „community“, dass weiterhin der Wille, das Wahre, Schöne und Gute zu suchen und sehen uns antreiben möge. Schöne Tage zwischen den Jahren.