Babel

Schon Luther wusste, dass jeder sein eigener Priester ist. Alles, was darüber hinausgeht, ist organisierte Macht. Das gilt für den Vatikan wie für den Islam. Die Minarett-Initative ist eben zustande gekommen. Unverzüglich distanziert sich der Bundesrat davon, das Ausland meldet Bedenken an und in Leserforen wird eine muntere Debatte geführt, die von Emotionen und Halbwissen geprägt ist.

Das geforderte verfassungsmässige Verbot widerspricht dem libertären Credo. Eine Diskussion über die Inhalte, die das Minarett symbolisiert, ist indessen enorm wichtig. Der Westen hat Freiheitskämpfe hinter sich, Epochen natur- und geisteswissenschaftlicher Aufklärung. Das Individuum mit seinem Streben nach persönlicher Entfaltung hat einen festen, zentralen Platz in unserer Kultur. In Moscheen werden Unterwerfung und Selbstaufgabe gepredigt, das Festhalten am Althergebrachten – das pure Gegenteil von all dem, worauf wir Erziehung, Politik und Wirtschaft ausrichten. Wer solche Einwände wagt wird subito pauschal mit dem Vorwurf der arroganten Intoleranz abgefertigt. Der Islam ermutige zum Denken, zu Bildung und Fortschritt, muss man sich belehren lassen. Solche Worte rufen Erinnerungen vom letztjährigen Sturm auf die rote Moschee in Pakistan wach, wo alle Welt mitverfolgen konnte, wie friedliebend und progressiv Koranschüler doch sind.

Nuancen?
Ein Zeitgenosse fühlt sich gar zu geschichtlichen Vergleichen inspiriert – eine Armbinde mit Halbmond müsse er sich bald anlegen, damit er schon von weitem als potenzieller “Terrorist” erkannt werde. Eine derartige Verzerrung der Fakten lässt nur folgende Replik zu: Ein Baustopp für Türme tangiert die Glaubensfreiheit in keiner Weise und verunmöglicht niemandem, seine Riten auch in Hinterhasli angemessen auszuüben. In Deutschland hatten Juden Berufsverbot, was schon einiges existenzbedrohender war. Ebenso macht es einen Unterschied, ob eine Bevölkerung architektonische Präferenzen äussert oder eine Regierung Rassengesetze erlässt.

Bereits steht der nächste Religionsexperte bereit um festzuhalten, dass Minarette wie auch unsere Kirchtürme der Orientierung und Integration dienen. Die bauliche Massnahme sei quasi ein heuchlerischer Trick, dahinter verstecke sich eine tiefverwurzelte Furcht vor Andersgläubigen.

Angst vor Eurabien?
Die Initianten befürchten – nicht zu unrecht, wenn man sich heute in Europa umsieht – das Erstarken des “politischen” Islam, mit seiner wachsenden Einflussnahme auf Fragen des alltäglichen Lebens (Schleier ja oder nein?). Die Tatsache, dass in England die Sharia ja bereits bei zivilrechtlichen Streitigkeiten mit Duldung der Behörden praktiziert wird, zeigt den Machtanspruch der fundamentalistischen Führer deutlich. Die Sharia ist nichts anderes als das aus dem Koran abgeleitete, unabänderliche Gesetz, das nach orthodoxer Leseart universell für alle Menschen gelten soll, für öffentliche wie private Angelegenheiten.

Die Schweiz ist ein kleines, überschaubares Land, wir kennen die Diskriminierung oder gar Gettoisierung von ethnischen Minderheiten weniger, als dies z.B. in englischen, deutschen, dänischen oder französischen Grossstädten der Fall ist. Deswegen ist das Problem hier nicht ganz so “explosiv”, um einen gemässigteren Leser zu zitieren.

Selbstbestimmung ist ein hohes Gut. Die Unterordnung der Frau drückt sich nicht (nur) im Kopftuch aus. Die Bibel ist da nicht viel zimperlicher, hat sie uns doch “aus Adams Rippe” entstehen lassen. Während Jahrhunderten waren wir dem Manne untertan. Jeder Moslem weiss nur zu gut, dass sich das einzelne Familienmitglied dem Wohl des Clans zu beugen hat. Auch katholische Südländer kennen das Konzept der alles rechtfertigenden “Ehre”. Und nicht nur Imame, auch unsere Moralaposteln sind im Kerne starr und unversöhnlich, keine Kondome, keine Kommunion für Geschiedene, und schon gar keine Euthanasie, wie gross das Leid der Betroffenen auch sein mag.

Die gestrengen Wüstenpropheten
Der Islam basiert, wie das Christentum, auf dem Gehorsam gegenüber dem Willen “Gottes”. Kritik an seinem unergründlichen Plan oder gar Auflehnung gegen den Sittencodex ist unter Strafandrohung verboten, von sozialer Ächtung bis hin zu ewigem Höllenfeuer. Das Dogma verträgt sich schlecht mit der Spekulation, dem spielerischen Erdenken des Unmöglichen, wo alles Neue seinen Anfang nimmt. Die wiederentflammte Wertedebatte ist insofern begrüssenswert, als dass der Islam uns mit unserer eigenen Parodoxie konfrontiert – technisch sind wir im 3. Jahrtausend angelangt, doch geistig bewegen wir uns nur zu oft noch im Dunstkreis der Mystik. Wenn die Bibel in einem recht hat, dann im Bildnis vom Turmbau zu Babel – nichts schadet den Menschen mehr als die “Sprachverwirrung”. Die Unfähigkeit, sich zu verständigen und im Dialog um wahre Erkenntis zu ringen.

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