Seelendoktoren

In moderner Kostümierung versucht der Kreationismus zunehmend auch hierzulande, sich einen gleichberechtigten Platz neben den akkreditierten Theorien zu erschleichen. In den USA erregte Ende 2005 eine Neuauflage des „Affenprozesses“ die Gemüter: einige streitbare Eltern hatten gegen die Schulleitung ihrer Kinder geklagt, die im offenen Widerspruch zur verfassungsmässigen Trennung von Kirche und Staat die Intelligent-Design-Lehre im Biologieunterricht verankern wollte. Der Bezirksrichter befand in “salomonischer” Weisheit, dass es sich dabei um eine Pseudowissenschaft – in Amerika auch „junk science“ genannt“ – handelt, und somit in einer öffentlichen Bildungsstätte nichts verloren hat. Kaum ist die Erinnerung an diese Meldung verblasst, erschreckt mich die NZZ mit der Nachricht von einem geplanten Lehrmittel, das schon bald in Bernischen Oberschulen die Genesis parallel bzw. alternativ zu Darwin und anderen Schöpfungsmythen als Diskussionsgrundlage anbieten will. Glücklicherweise wird das umstrittene Werk nun einer Überarbeitung unterzogen.

Dass das bisher Unerklärbare, d.h. der Ursprung des Lebens, alle möglichen Spekulationen zulässt ist verständlich, dass das Schweizer Fernsehen Geist- und Fernheilern eine kostenlose PR-Plattform bietet schon weniger. Im Gesundheitsmagazin „Puls“ vom 26. November durften die geneigten Zuschauer erfahren, dass auch in Gottes Diensten einem Zweitjob nichts im Wege steht.

Globuli und Hostien
Ein Luzerner Pfarrer betreibt demnach ganz offiziell eine Praxis für spirituelle Heilkunde, in der er mit Pendel und Handauflegen den Hilfesuchenden die Beschwerden nimmt. Besonders beliebt sind auch seine speziellen Messen, bei denen die Kommunizierenden nicht nur den Leib Christi sondern potenzierend dazu das innere Licht des Priesters in sich aufnehmen. Selbst Leute in der Ferne soll es erreichen, die mentalen Kräfte des Seelsorgers überwinden alle physikalischen Grenzen.

Ich bezweifle nicht, dass der Ruswiler Geistliche seinen Patienten wirklich Linderung verschaffen kann. Glauben versetzt bekanntlich Berge und die Selbstheilungskräfte des Menschen werden auch von Hausärzten (etwa durch Verabreichung von Placebopräparaten) mobilisiert und genutzt. Was mich teils belustigte teils schockierte war vielmehr die Tatsache, dass der Werbespot für die religiöse Paramedizin kritiklos über die Bildschirme flimmerte. Und zwar gleich anschliessend an ein Gespräch mit einem Infektiologen und einer AIDS-Kranken. Ein Beitrag, der die eminente Wichtigkeit von Forschung, Aufklärung und rationalem Verhalten im Kampf gegen dieses heimtückische Virus aufzeigte: Konzepte, die die katholische Kirche (und ihre Brüder und Schwestern) seit jeher ablehnt und somit ihre Anhänger unwissend und hörig an sich kettet.

Die Haltung des Vatikans in Sachen Kondome ist bekannt. Würde der Papst nebst Moral auch Sexualkunde zur Chefsache erklären und durch sein „Bodenpersonal“ unterrichten lassen – unsere Jugendlichen wären nur halbwegs so gut informiert und die HIV-Quote in der Schweiz nicht länger bei einigen hundert positiven Testergebnissen pro Jahr stabil.

Link zum Puls-Beitrag
Merkblatt Puls mit Link zur Homepage von Pfarrer Roman Grüter

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