Nachdem der Antikoranfilm von Geert Wilders letzte Woche im Internet doch noch bei einem beherzten Provider Asyl gefunden hatte, erstarrte die Medienlandschaft sekundenlang. Dann fand das internationale Gewissen rasch einen gemeinsamen Nenner und prangerte das „Machwerk“ als rassistisch und beleidigend an, während der Autor von Kommentatoren unisono als Rechtspopulist etikettiert wurde.
Die Collage über den islamistisch motivierten Terror empörte Journalisten, Politiker und Bildungsbürger gleichermassen. Allen voran den niederländischen Regierungschef; besorgt mahnte er den radikalen Parlamentarier, das Land nicht zu spalten, schon bevor er oder andere Integrationsbeauftragte den Streifen zu Gesicht bekommen hatten.
Fotogramme des Schreckens
In „Fitna“ ist jedoch nichts ausser tausendfach dokumentierte Wirklichkeit zu entdecken, kein abschätziges Wort den moderaten Muslimen gegenüber, die sich regelmässig von jedem noch so diplomatischen Kritiker missverstanden fühlen. Die einzige vernehmbare Botschaft ist ein Aufruf zum Handeln und ein gellendes Nein zur Gewalt, die im Namen Allahs von Sittenwächtern systematisch gegen Frauen und Homosexuelle begangen wird. Ein mutiger Appell an die Verantwortlichen, Werte wie Gleichheit und das Recht der freien Rede, die Fundamente unserer liberalen Gesellschaftsordnung, hochzuhalten: ein unbequemes Stück Wahrheit zuhander jener Appeaser, die den blinden Fanatismus und die Indoktrination der Jüngsten durch Imame und antiwestliche Propaganda in Schulbüchern feige verdrängen.
Die islamische Welt reagierte nach Protokoll: mit Demonstrationen und Verlautbarungen, in denen das Video aufs Schärfste verurteilt wurde, als „irreführend“, als „Hasspredigt“ gegen Millionen friedliebende Nachbarn. Von Bangladesh über Pakistan nach Indonesien, wo offen zum Mord an Wilders aufgerufen wurde, waren die gottesfürchtigen Kinder des Propheten erzürnt, drohten mit Repressalien gegen Nato-Truppen in Afghanistan, dem Boykott von niederländischen Waren.
Rufer in der Wüste
Weit beschämender gebärdeten sich aber unsere vorauseilenden, händeringenden Schönwetterdemokraten, die den 15minütigen Film auf allen Kanälen zerrissen. Nach der EU sah sich der Generalsekretär der Vereinigten Nationen Ban Ki-Moon berufen, seinerseits gegen die „Hetze“ des Holländers zu intervenieren – eine logische Konsequenz der vom UNO-Menschenrechtsrat verabschiedeten Resolution, die die Zensur zum Schutz der Religionen zulässt. Das Papier wurde gegen den Widerstand von Deutschland, Frankreich und Grossbritannien durchgesetzt, was angesichts der Dominanz der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) und umstrittener Staaten wie China oder Kuba im Gremium nicht verwundert. Der Weltverband der Zeitungsverleger (WAN) veröffentlichte schon im Vorfeld eine Protestnote gegen solche Bestrebungen, in der vor der Instrumentalisierung durch autoritäre Regime gewarnt wurde (worüber die NZZ am 4. Mai 2007 in einer knappen Marginalie berichtete). Ende März 2008 musste die International Humanist and Ethical Union IHEU in einem Kommuniqué nun das definitive Aus für die Meinungsfreiheit beklagen.
Trotzdem erstaunt der Tenor, der die deutschsprachige Qualitätspresse in dieser Kontroverse prägt: vom einen oder anderen Intellektuellen, einer der sonst so eloquenten Feministinnen hätte man schon erwartet, dass sie inhaltlich Stellung beziehen, Zwangsverheiratungen Minderjähriger, Diskriminierung und Obrigkeitsgehorsam thematisiert hätten. An „Biedermann und die Brandstifter“ ist man stattdessen erinnert – und wünscht sich, dass Montag und die Buchmenschen aus Truffauts „Fahrenheit 451“ unsere Voltaires und Russells, Kants und Heines doch noch vor den Flammen retten mögen. Weil sie sie ebenso lieben wie Gläubige ihre heiligen Schriften.