In einem Leserbrief an unsere Regionalzeitung äussert sich Herr X betroffen darüber, dass der „richtige“ Hergang des Sündenfalls im Paradies vielen nicht bekannt sei. So glaubten sie fälschlicherweise, dass Adam und Eva am berüchtigten Apfel genascht hätten. Er zitiert dann auch die einschlägige Passage, womit feststeht: Gott hat ihnen lediglich verboten, vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen. Da fragt sich der Zweifler spontan, wieso es dem Schöpfer derart zuwider war, dass seine Kinder sich die Grundlage jeder Moral verschaffen wollten.
Sicherlich haben einige, die sogar den Eid auf die „heilige Schrift“ ablegen, nur fragmentarische Kenntnisse über deren Inhalt. Mancher widerspenstige Sonntagsschüler erinnert sich ja höchstens an die paar Highlights, die 7tägige Erschaffung der Welt, die Sintflut, David und Goliath, die Weihnachstgeschichte, Leben und Sterben Christi.
Anstatt die Religionen als Quelle ewiggültiger Wahrheiten zu propagieren, täten Bildungsverantwortliche gut daran, sie in ihrem kulturhistorischen Zusammenhang unterrichten zu lassen. Unsere Sprache ist reich an biblischen Metaphern; der Zugang zur abendländischen Geistesgeschichte, Malerei und Literatur erfordert ein minimales Verständnis des Christentums mit seinen Themen und Traditionen.
Ebensowenig kann die Bibel als einziges Fundament für eine humane Ethik betrachtet werden. Aktuelle Beispiele zeigen deutlich, wie sehr Kirchenpolitik und moderner Zeitgeist auseinanderklaffen: in Brasilien werden die Ärzte eines 9jährigen Vergewaltigungsopfers kurzerhand exkommuniziert, weil sie eine lebensbedrohliche Schwangerschaft unterbrochen haben, während erzkonservative Bruderschaften unbesehen rehabilitiert werden; Papst Benedikt XVI, gerade auf Afrikareise, rät seinerseits unbeirrt zu Enthaltsamkeit statt Kondomen im Kampf gegen Aids und Bevölkerungsexplosion.
Wenn es denn unser Ziel ist, das Leid und Elend auf unserem Planeten zu verringern, erstaunt es Nichtgläubige immer wieder, wie systematisch religiöse Kreise den wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt doch behindern: mit dem Evangelium alleine sind die grossen Probleme der Menschheit, Hunger, Krankheiten, Gewalt und Ressourcenknappheit aber kaum zu bewältigen.