Lourdes

Für orthodoxe Katholiken beginnt das wahre Leben nach dem Tod. Auch andere Lehren versprechen jenseitige Herrlichkeit, in Walhall, im Garten Eden, im buddhistischen Nirwana. Wieso hängen sie dann – wie wir gottlosen Kreaturen, wie Tiere, Pflanzen, Amöben, an diesem einzigartigen, irdischen “Jammertal”? Zweifeln sie etwa, ist da doch ein Rest Unsicherheit, ob denn wirklich erst nach dem Lichterlöschen das versprochene Highlight kommt? Bewahren sich manche den letzten Rest Glauben wie einen Joker, um die Chance auf die Ewigkeit nicht ganz zu verspielen?

Ist es die übermächtige Angst vor dem Nichts, die einigen die Freude am Dasein raubt? Die Unsicherheit, die Furcht vor dem Ungewissen? Versagt das Umfeld, die anderen, wenn ein Mensch sich dem Diesseits verweigert? Auch in der Schweiz sind zahreiche Gruppen am Werk, die dafür arbeiten, Sterbewillige vom Suizid abzuhalten. Nicht wenige sind religiös motiviert. Sieht niemand die Absurdität in einem solchen Handeln?

Unsere Reise ist irgendwann zu Ende. Dann steigen wir aus, die andern reisen weiter, dem Ausgestiegenen ist es nicht gegeben zu wissen, wohin der Zug rast. Das gemeinsam Erlebbare hat sich erschöpft. Ebensowenig können die Gefährten “ahnen”, was an der Haltestelle passiert. Sich darüber zu streiten erinnert an die irrwitzige Szene, die Mani Matter in seinem Chanson “Yr Isebahn” beschreibt.

Voltaire staunt
Auch der Papst ist wieder unterwegs, diesmal, um den Franzosen das Evangelium nahezubringen. Lourdes hat eine Imagekur nötig. Der Wallfahrtsort ist ein hübsches Beispiel für das Aufrechterhalten rentabler (sehr weltlicher) Strukturen, die nur vordergründig “mystisch” begründet sind. Der Religionstourismus ernährt vermutlich nicht nur dieses Pyrenäendorf. In Zeiten schwindender Klientel muss CEO Paparatzi Aktionswochen einlegen, 1 x Pilgerfahrt für einen Gratiseintritt ins Paradies, dies der Deal, den er seinen Anhängern bietet. Die Werbeabteilung organisiert den Road-Trip, die Medien liefern gratis die detaillierte Berichterstattung dazu. In Frankreich wird der Schulterschluss zwischen Nicolas Sarkozy und Benedikt XVI mit Argwohn beobachtet, spricht sich der Präsident der streng laizistischen Republik doch für eine gewichtigere Rolle der Kirche im Staat aus.

Das Zielpublikum des Pontifex ist und bleibt die Jugend, und an sie richtet er erneut seine Warnungen vor den Versuchungen der modernen Gesellschaft. Statt falschen Vorbildern nachzueifern, rät er ihnen zu einer Laufbahn in Gottes Diensten; Nonnen, Mönche, Priester sollen sie werden. Immer wieder wird die Säkularisierung für den Wertezerfall und die Orientierungslosigkeit verantwortlich gemacht. Liegt es aber nicht eher an einer fehlgeleiteten Erziehung des Geistes und der Gefühle? Brauchen Teenager heute Religionsunterricht, Kulturkritik oder Ethik als Freifach am Gymnasium? Vielleicht wäre ihnen mit Crash-Kursen in Buchhaltung eher gedient, mit einer möglichst frühen Schulung in den psychologischen und wirtschaftlichen Basics, mit glaubwürdigen Vorbildern in Öffentlichkeit und Politik.

Lernen für die Realität
Zwar benennt Josef Ratzinger einige Übel, doch bietet er erneut die falschen Lösungen. Nicht der Glaube mit seinen Dogmen hilft gegen die Gefahren der fast grenzenlosen Freiheit. Einzig Wissen und Bildung schützen vor Rattenfängern und neuen Erlösern. Ohne, tappen viele Schulabgänger in die Konsum- und Schuldenfalle, fühlen sich als Opfer obskurer kapitalistischer Mächte und huldigen den “Götzen” des Materialsmus und der Genusssucht. Budgetberatung statt Bibelkunde, Biologie statt Mythologie, Einführung in die Astronomie statt tägliche Horoskoplektüre – und das Glück auf Erden rückt ein gutes Stück näher.

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