Im Spinnennetz

Ein Blogger schreibt über seine Arbeit als Psychotherapeut: Viele meiner Patienten kommen zu mir mit den unterschiedlichsten Diagnosen. Häufig wurden ihnen von Ärzten leichthändig und -sinnig Pillen gegen Depressionen und Angstzustände verschrieben. In den meisten Fällen kann ich ihnen leider nicht helfen. Weil sie nicht krank sind, sondern „einfach“ ein „Scheissleben“ leben. Wer wollte ihm da widersprechen!

Hans im Unglück

Mit Bullshit-Job, keinen oder oberflächlichen Beziehungen, ohne echte Interessen oder Leidenschaften. Gefangen in einer Wirklichkeit, die keine ist.

Viele strampeln ganze Wochenenden auf dem Velo um Seen oder auf Hügel, andere verkörpern in Videogames immer multiplere Persönlichkeiten. Im Grunde leben die Massen wie eh und je trotz den Verheissungen des Fortschritts „lives of quiet desperation“, wie es H. D. Thoreau einst zusammenfasste.

Die (ab-)gelenkte Gesellschaft

Die Realität genügt heute nicht mehr, sie ist „augmented“, virtuell sowieso.  Das Uni- oder Multiversum war zu eng. Nun gibts Metaverse.

Dabei mahnen Weise in Ost und West aller Epochen, dass das Geheimnis des Glücks im Hier und Jetzt liegt. Dass der Augenblick die Ewigkeit in sich birgt.

Aber heute starren so viele wie hypnotisiert in ihre phones, auch beim Gehen. Fiel früher Hans guck in die Luft in den Graben, so  schlafwandeln heute schnurlos Vollverkabelte durch die Gegend. Statt Singing in the rain haben wir lauter Kevins allein im Netz.

Nach dem Tennisarm der Handydaumen

Wir hängen wie Mücken an unsichtbaren Fäden, die doch so leicht zerrissen werden könnten.  Für den Physiotherapeuten eröffnet das ein neues Arbeitsgebiet: Handydaumen und Geierhals sind erst der Anfang. Und auch dem Seelendoktor geht die Arbeit nicht aus: anders als die traditionelle Droge im Glas, die doch lichte Momente zulässt und manchmal die Kreativität entfesselt wie z.B. bei den saufenden Dichtern Charles Bukowski und Baudelaire, macht uns der Chip in der Hand und wer weiss bald unter der Haut zu dauererregten aber letztlich stumpfen Konsumenten.

Und entgegen dem Namen ist doch fraglich, ob das Genutzte dem Nutzer tatsächlich nützt. Nach dem anonymen Alkoholiker kommt der anonyme Avatar. Nach Kokainsucht Porno in Dauerschlaufe.

Das Medium ist die Botschaft

Natürlich bieten die modernen Technologien auch Chancen. Mancher Künstler ist froh, ohne Knebelvertrag seine Texte oder Musik im Eigenverlag zu publizieren,  ich staune stets über die Qualität gewisser Blogs und Webseiten.

Für die grosse Mehrheit der „ordinary people“ hoffe ich aber, dass wir nach Dada und Radio Gaga nicht im globalen Gugus enden.

Oder rettet uns vielleicht die künstliche Intelligenz doch noch vor der natürlichen Torheit?

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