Himmel ohne Türme

Erstmals publiziert 2010 in der Zeitschrift Freidenker der FVS.

2009 bescherten die „Atheisten-Plakate“ unserer Vereinigung eine einzigartige Popularität, die mit den Zensurversuchen in Luzern und Zug ihren Höhepunkt erreichte. Es zeigte sich, dass Religionen bis heute von offizieller Seite unbesehen unter Denkmalschutz gestellt werden.

Die Eliten scheinen sich einig, dass der Glaube an sich etwas Gutes sei. So propagierte Nicolas Sarkozy in der Euphorie des Papstbesuches 2008 gar einen „positiven Laizismus“ für sein Land. Ein Schulterschluss mit den Kirchen ist jedoch ein Verrat am Erbe der französischen Revolution: „ni prêtre ni maître“ – mit solchen Parolen sollten die Köpfe der Menschen dem Zugriff der Geistlichkeit entzogen werden.

Dieses Ziel verfolgen auch die britischen Humanisten mit ihrer jüngsten Billboard-Kampagne, die das Recht der Kinder auf weltanschauliche Selbstbestimmung thematisiert.

Ihr Anliegen findet auf höchster Ebene Gehör: erst kürzlich verbot Strassburg das Kreuz in Italiens öffentlichen Schulen. Kaum hatten sich die Wogen der Empörung – vor allem unter Klerikern und christlichen Parteien – halbwegs geglättet, legten die Schweizer ein wuchtiges Ja zur Anti-Minarett-Initiative in die Urne.

Die internationale Öffentlichkeit reagierte mit harscher Kritik. Der iranische Aussenminister befand kategorisch, das Volk hätte sich nicht über religiöse Werte auszusprechen. Der Gedanke, die Theologie über die Bürgerrechte zu stellen, ist mit unserem Selbstverständnis aber unvereinbar. Der Westen begegnet fundamentalistischen Strömungen allgemein mit Skepsis.

Persönlich werte ich es als Zeichen zivilisatorischer Reife, wenn Symbole demokratisch hinterfragt und nicht Menschen bekämpft werden.

Ist das Minarettverbot juristisch auch heikel, wird endlich breit über das Verhältnis zwischen Staat und Religion debattiert. Und obwohl gebetsmühlenhaft die abendländische Tradition der Toleranz bemüht wurde, verrät der Wahlausgang mitunter die wachsende Ablehnung gegenüber den Begehrlichkeiten und der Einflussnahme von Glaubensgemeinschaften auf Politik und Gesellschaft.

Verbote sind immer diskriminierend. Anstatt das Resultat vom 29. November kassieren zu wollen, wäre es nun nur gerecht – und taktisch klug – den Baustopp für Kirchtürme zu fordern. Damit wäre ein bedeutender Schritt getan in eine säkulare Welt. Eine Welt, in der der Himmel den Lebenden gehört und unser Blick frei in die Unendlichkeit des Kosmos schweifen kann.

Grazia Annen

Siehe auch:
Tagi-Blog
05.10.2009: Denkmalschutz für christlichen Gott
Luzerner Zeitung
02.10.2009: STADT LUZERN: Ein ironischer Konter auf Atheisten-Plakate
22.09.2009: FREIDENKER: Atheisten-Werbung: In Luzern verboten

Tapetenwechsel

Agentur C goes Freidenker: Ab 28.10.2009 hängen die umstrittenen Freidenker-Plakate in der Schweiz.

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