Die Wüste lebt

Zum Abschluss des Weltjugendtages in Australien warnt der Pontifex in seiner Messe vor der “spirituellen Wüste”, die der wachsende Wohlstand und Materialismus hervorrufen: “Eine innere Leere, eine namenlose Angst, ein stilles Gefühl von Verzweiflung» breite sich aus. Nur in der Hoffnung werde der Mensch von “Apathie und Selbstbezogenheit befreit”. Wer mich kennt weiss, was ich von der Priesterkaste und all ihren willfährigen Helfern halte. Nachdem Benedikt XVI schon zu einem Rundumschlag gegen die Säkularisierung ausgeholt, die Nichtkatholiken einmal mehr aus dem Schoss der Mutterkirche verbannt und in der letzten Enzyklika den Untergang der Neuen Atheisten beschworen hat, trägt er seine Botschaft nun zur Jugend. Als gewiefter Kommunikator weiss er, wie sehr Teenager geistige Führung suchen, mit welchem Enthusiasmus sie ihren Idolen huldigen und blind folgen. Dabei sind die päpstlichen Worte nichts als abstrakte Theorie, zu Slogans verdichtete Absolutismen, die durch alle Kanäle, alle Zeitschriften der Welt geistern. Die umfassende Berichterstattung, die dem Event gewidmet wurde zeigt, dass sich Theokraten heute wie in vergangen Jahrhunderten geschickt mit den weltlichen Mächten zu verbünden verstehen.

Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr…
Mit dem italienischen Staat ist der Vatikan aufs Engste verbunden, trotz der formalen Trennung sorgt ein Konkordat dafür, dass ihm Jahr für Jahr automatisch stolze 8 Promille aus der IRPEF zufliessen (Einkommenssteuern natürlicher Personen ). Die katholische Lobby wirft ihr Gewicht bei heiklen politischen Dossiers immer wieder wuchtig in die Waagschale. Berlusconi holte sich nach seinem fulminanten Wahlsieg umgehend den heiligen Segen. Obwohl der Premierminister die “konstruktive Zusammenarbeit im Zeichen der Freiheit, Toleranz und Heiligkeit des Menschen und der Familie” weiterführen will, verwehrte der oberste Hirte ihm höchstpersönlich die ultimative Absolution. Auf die Bitte, das Kommunionsverbot für Geschiedene aufzuheben, die ihm der Medienmogul aus seinem sardinischen Feriendomizil ausrichten liess, antwortete Benedikt XVI, ganz der gestrenge Wächter über Sitte und Moral, dass die Scheidung halt eine schwere Sünde sei und mit dem Entzug der Eucharistie bestraft werde. Daran, und auch in anderen Streitpunkten wie Euthanasie, Abtreibung, Zölibat oder Homoehe, wird sich unter Ratzinger nichts ändern.

Not amused?
Da zeigen sich die anglikanischen Brüder dann schon innovationsfreudiger: die Synode in York kündigte vor einigen Wochen an, Frauen zur Bischofweihe zulassen zu wollen. Die Briten haben sowieso eine lange Tradition in Sachen Freidenkertum, sie haben es ja auch einfacher, bei ihnen wohnt der Chef nicht gleich um die Ecke. Im Windschatten von Rom können da Querköpfe wie Pat Condell heranwachsen, der im Internet als “Comedian” seine ätzend unorthodoxen Kommentare zum Islam, der Scharia und anderen anti-liberalen Bewegungen verbreitet, die für ihn allesamt unter dem Etikett “Bullshit” laufen. Etwas dezenter formuliert es der kontroverse nordirische Psychologe und Emeritus der Universität von Ulster, Richard Lynn: mit seiner These, die intellektuelle Elite weise deutlich mehr Atheisten vor als der Durchschnitt, handelte er sich aber prompt den Vorwurf des „westlichen Kulturimperialismus“, der “Vereinfachung” und „antireligiöser Vorurteile“ ein.

Zwischen Erde und Himmel
Ich hingegen fühle mich jeweils in meiner Weltanschauung durch solche Voten bestärkt, sie sind selten genug. Nur zu oft lassen wir es zu, dass reaktionäre Ideen und tendenziöse Kritik an der offenen Gesellschaft sich ungehindert breit machen. “Ich habe genauso Autorität wie der Papst, nur glauben mir nicht soviele Leute”, sagte schon George Carlin, der kürzlich verstorbene amerikanische Satiriker. So wage auch ich es denn, ihm entschieden zu widersprechen: Exzellenz, Sie massen sich ein Urteil über Dinge an, die Ihnen berufshalber fremd sind: was wissen Sie über die Befindlichkeit von uns Agnostikern und Konfessionslosen? Lassen Sie es mich erklären: Wir glauben nicht, wir wissen und können aus Erfahrung. Wir rechnen mit Wahrscheinlichkeiten, nicht mit Wundern. Nie vertrauen wir darauf, dass Gott uns hilft, wir beten auch nicht, damit uns Engel beschützen. Eher gurten wir uns an, als dass wir auf den heiligen Christophorus hoffen. Wir holen uns die Sterne selbst vom Himmel. Dazu bauen wir Raketen. Sie sind, mit Verlaub, ein Illusionist, predigen pure Theorie und füllen sie mit kindlichen Inhalten, uralten Dogmen und ungetesteten Wahrheiten. Wir Normalsterbliche müssen uns jedoch im realen “Handwerk des Lebens” üben, wie Cesare Pavese es treffend nennt: Hingabe und Verzicht, Verantwortung für uns selbst und andere, 1000 tägliche, oft schwierige Entscheidungen, das Gute zu tun. In unserer “Wüste” blühen mitunter die erlesensten Blumen, Poesie und Humor, Engagement, tiefe Menschlichkeit.

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