Die Gedanken sind frei – wirklich?

Angesichts von Elend und Unmenschlichkeit regt sich in uns der Drang zu helfen, etwas dagegen zu tun. Dieser Wunsch entsteht spontan, ergreift Besitz von uns. Was daraus folgert, und zu welchen Handlungen er uns verleitet ist hingegen ein freier Akt der Entscheidung.

Der eine sponsert ein Kind in der 3. Welt, ein anderer ruft zum bewaffneten Widerstand. Wird er dadurch zum Terrorist oder wird erst die Geschichte darüber urteilen, ob er Verbrecher oder Nationalheld ist?  Ist Gewalt immer verwerflich oder kann sie ein Gebot der Stunde sein? Was unterscheidet einen Robert Mugabe von einem Claus Graf von Stauffenberg? Der grosse Denker Bertrand Russell sagte es einst treffend: “War doesn’t prove who’s right but who’s left”.  Die Partisanen kämpften an der Seite der Gewinner – edelt das ihre Taten?

Eine moderne Variante des Freiheitskämpfers ist der Selbstmordattentäter: lebende Bomben, programmiert, für eine höhere Causa sich selbst und Unbeteiligte zu opfern.  Ähnliches kommt auch in der Natur vor. So dringt zum Beispiel der Leberegel in eine Ameise ein und manipuliert ihr Hirn so, dass das Insekt – scheinbar grundlos – auf einen Grashalm krabbelt. Das wird es ein paar Mal tun, bis es von einem Schaf oder Rind gefressen wird. Dieser “Sprung” ist nötig, denn der Parasit kann seinen Fortpflanzungszyklus nur in einem Säugetier vollenden. In der Informatik sind Viren, d.h. kleine “Befehlszeilen” in der Lage, Computer zu sabotieren und zum Absturz zu bringen.  Trojanische Pferde nisten sich in fremden Systemen ein, bemächtigen sich ihrer und missbrauchen sie für ihre Zwecke.  Die menschliche Psyche ist ebenfalls ständigen Angriffen durch “ungefilterte” Ideen ausgesetzt; sind Gedanken nicht auch “bloss” eine neurophysiologische Antwort auf externe Reize, abhängig von unserer Wahrnehmung und unserer kulturellen Prägung? Durch Meditation und tranceähnlich Zustände versuchen Menschen ja, genau diese geistigen Fesseln zu überwinden.

Kürzlich ist der amerikanische Philosoph und Vertreter des Neopragmatismus Richard Rorty verstorben.  Er vertritt den Standpunkt, dass es  Objektivität, “Wahrheit” nicht gibt sondern nur bessere oder schlechtere Argumente, und plädiert dafür, “die Sehnsucht nach dem Absoluten durch Beschreibungen zu ersetzen, was wirklich war und wie es lief und was dabei herauskam.”

Sehen wir, was ist oder ist, was wir sehen wollen?
Seit Ende 2008 tobt ein “asymmetrischer” Krieg im Gazastreifen. Die Fakten, d.h. die Umstände, die dazu führten sind bekannt. Unser Mitgefühl lässt sich aber davon nicht beeinflussen. Es sind die Geschichten der Menschen, die Solidarität in uns hervorrufen. Deswegen werden Bilder inszeniert, blockiert, ja gar verfälscht, denn wer “die richtige Story” erzählt, hat den Kampf um die Gunst der Zuschauer, der Weltöffentlichkeit, bereits gewonnen.  Wie sollte man sich über geschilderte “Erfahrung” streiten.  Wer erst innerlich mit jemandem mitgelitten hat kann nicht länger unparteiisch sein.

Eine neutrale Berichterstattung wird mitunter an unserem angeborenen Hang zur Identifikation scheitern. Der Betroffenheitsjournalismus bedient sich genau dieser irrationalen, unbewussten Mechanismen. Da erstaunt es auch nicht weiter, dass sich Kommentatoren in den Medien aufs Moralisieren, das Be- und Gegenrechnen der Toten verlegen. Wie diese zu Buche schlagen hängt stark vom persönlichen Bezug ab: für manche zählen Soldaten weniger als Zivilisten, Rentner weniger als junge Mädchen. Das Gute ist stets das Böse, das man lässt. War es klug von den Israelis, in den Gazastreifen einzumarschieren oder hätten sie, bei aller Tragik,  eine “verhältnismässig” hohe Anzahl Terroropfer abwarten müssen, um ihre Offensive zu rechtfertigen?

Nichts ist, wie es scheint. Nie blühte das Geschäft mit Emotionen und Sympathien mehr. Umsomehr ist Skeptizismus die einzig mögliche Haltung, gepaart mit der Frage: cui bono?

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