Der schnellste Weg, einen Krieg zu beenden, ist, ihn zu verlieren

George Orwell war einer der hellsichtigsten Köpfe des letzten Jahrhunderts, ein Visionär. Sein bekanntestes Werk, 1984, war als Warnung gedacht. In den letzten Jahren scheinen wir dem darin beschriebenen Albtraum ein gutes Stück näher gekommen zu sein. Zumindest, wenn wir ein paar beunruhigende Punkte verbinden.

Der Mensch ist ein «pattern-seeking animal». Überall vermutet er eine verborgene Logik. Als Schutz gegen seine tiefsten Ängste sucht und (er)findet er «Muster», Gesetzmässigkeiten, die abstrusesten Theorien darüber, wie «die Welt» funktioniere und sich vielleicht beeinflussen liesse. Diesem Zweck dienten bereits die Rituale der Urvölker und auch der Aberglaube nährt sich vom Wunsch, das Chaos zu kontrollieren und darin einen Sinn zu finden.

Die ganzen Diskussionen um Finanzkrise und Managermoral hallen noch nach und der Liberalismus wurde bereits zu Grabe getragen. Wir kennen das Mantra des WEF: Du wirst nichts besitzen und glücklich sein. Dabei wird unterschlagen, dass Güter produziert werden müssen mit Ressourcen, die es nicht gratis gibt. Man vergisst, dass das geteilte Gut irgendjemandem gehört, der die Nutzungsrechte nicht umsonst abgibt. Auch im Kommunismus hausten die meisten in Plattenbauten; auch hier gab es 1% Mehrbessere in schmucken Villen.  Aber immer, wenn es um die Überwindung des Kapitalismus geht, landen wir irgendwann bei den Geheimbünden, Freimaurern, Rosenkreuzern, Kabalisten und dem sog. „Weltjudentum“.

Leid auf allen Kanälen

Nach dem Terroranschlag auf Israel ringen viele noch um eine Meinung, die für die allermeisten rein emotional begründet sein wird. Kaum jemand ist persönlich, familiär oder sonstwie mit den Parteien verbunden. Und doch wird voraussichtlich – nach anfänglichen Sympathiebezeugungen angesichts des brutalen Vorgehens der  militanten Palästinenser –  einmal mehr der Aggressor legitimiert und der Angegriffene zum Verantwortlichen gestempelt, der Davidstern zum Symbol des Bösen, Gaza zu einem Hort des Friedens und der Kompromissbereitschaft.

Die Abneigung gegen Geschäftstüchtige, Kämpfer und Erfolgreiche eint Alte und Neue Linke. Für sie war Jesus der erste Antikapitalist, er jagte bekanntlich Händler und Geldwechsler aus dem Tempel. Bibelkundige wollen wissen, dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr als der Reiche ins Himmelreich eingeht. Egal, ob der Reichtum durch Fleiss, Geburt, Glück  oder Schurkereien erworben wurde.

Das Christentum ist eine Religion, die das Opfer überhöht. Das erklärt vielleicht auch gewisse politische Sympathien. Wie meinte einst die Eiserne Lady Margareth Thatcher: «The left would rather have the poor poorer provided the rich were less rich».

Der Nahe Osten gleicht einem Hexenkessel und Kolumnisten betreiben Ursachenforschung bis tief in die Vergangenheit rivalisierender Wüstenvölker. Nur selten wird das Hauptproblem offen benannt: die gefährliche Verstrickung von  Religion und Politik, verschärft durch eine Ideologie des Hasses auf der einen Seite und dem Einsatz hochmoderner Waffen auf der anderen. Business as usual also? Es ist kompliziert. Nächtens kam ich auf die Idee, dass zwischen der radikalen Wirtschaftsfeindlichkeit und dem immer wieder zutage tretenden Antizionismus ein tieferer Zusammenhang bestehen könnte.

Immer wieder Shylock

Nebst der Bilderberg-Konferenz und den Weisen von Zion, die der Hamas als Vorwand dienen, Israel sein Existenzrecht abzusprechen, stiess ich beim Durchstreifen des Netzes auf das Werk des Deutschen Werner Sombarts, Die Juden und das Wirtschaftsleben (publ. 1911). Darin portraitiert der Autor die Juden als Prototyp des Kapitalisten: als Wandervolk fehle es ihnen an einer festen Bindung zum Boden, weswegen sie eine intensive Bindung zum Geld und seinem abstrakten Wert entwickelt hätten und zu ihren Mitmenschen primär zweckopportunistisch in Beziehung treten würden. Auch praktizierten sie die «unchristliche» Geschäftsmethode des Kundenfangs. Er argumentierte mit Stichworten wie «die anthropologische Eigenart der Juden» oder «die Konstanz des jüdischen Wesens», wodurch er eine Brücke zum offenen antisemitischen Antikapitalismus schlug, so Historiker, die ihn auch für einen Wegbereiter des Nationalsozialismus ansehen.

Am Reichtum gewisser Exponenten wie Soros, Zuckerberg, Rothschilds et al. reiben sich Neider und Abgehängte dies- und jenseits des Atlantiks. Wenn Bekannte unaufgefordert die Lage in Nahost mit unverhohlen antisemitischen Sprüchen kommentieren lässt das tief blicken in die westliche Kultur der «Brüderlichkeit». Nathans Ringparabel ist für viele sowieso nur Pflichtlektüre am Gymnasium. Arabische Kinder lernen in Koranschulen, dass Juden Schweine seien und die Feinde des Propheten. Das wird im von der Hamas dominierten Gazastreifen nicht anders sein. Und nicht nur dort.

Von wem die Muslimverbände in D-A-CH-Raum Geld bekommen, wer die Unterstützer der European Muslims League sind, weiss vielleicht Wikipedia oder ChatGTP. Wie in offiziellen Dokumenten nachzulesen, unterstützt die UNRWA (United Nations Relief and Work Agency for Palestine Refugees in the Near East), fast ausschliesslich privat finanziert, über 5,6 Millionen palästinensische Flüchtlinge in der Westbank, Gaza, Jordanien, Libanon und Saudiarabien. 700 Schulen mit über 22’000 Angestellten kümmern sich um eine halbe Million Schüler. Eine Herzensangelegenheit für Philanthropen, denn sie ist doch die einzige Agentur innerhalb des UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge, die sich um eine spezifische Gruppe innerhalb der Menschheitsfamilie kümmert. 2019 beliefen sich die jährlichen Kosten pro Primarschüler auf US$ 841.50. Ist also Bildung doch nicht der Schlüssel zu Frieden und Völkerverständigung?

In Grossbritannien z.B. errichten und unterhalten Saudis zahlreiche Islamschulen, von denen Richard Dawkins nach einem Besuch vor Ort in Leicester sagte: alle Lehrer glauben, dass der Koran jede wissenschaftliche Erkenntnis übertrumpfe und man den Kindern in den Faith Schools «alien rubbish» beibringe.

Hinkende Vergleiche

Auch bei uns scheint es jedoch mit dem Sachverstand gewisser Gelegenheitshistoriker nicht weit her zu sein, wenn sie den Gazastreifen als Freiluft-Gefängnis bezeichnen, vielfach ohne je dort gewesen zu sein, ein „Konzentrationslager“ gar, mit einer der höchsten Geburtenraten weltweit. Jedes unschuldige Opfer ist ein Opfer zuviel, egal auf welcher Seite. Und dennoch tut Israel gut daran, sich der «öffentlichen Meinung» nicht zu beugen. Damit meine ich nicht die diplomatischen Bemühungen um einen Waffenstillstand, sondern vielmehr die «Stimmung auf den Strassen» Europas und Nordamerikas oder in den Social Media.

Israel «verdankt» seine Existenz ja dem Versagen des Weltgewissens. Ein Weltgewissen, das blind war für die Greuel der Rassengesetze, das wegsah, als Menschen, die seit Generationen Verwandte, Geschäftspartner, Arbeitskollegen, Schulkameraden oder Nachbarn waren, über Nacht zur niedrigen Lebensform erklärt, verfolgt, gefoltert, zu Millionen getötet wurden. Die Shoa darf eigene Verfehlungen nicht entschuldigen. Sie muss uns aber daran erinnern, dass sich kein Volk auf die Loyalität der Staatengemeinschaft verlassen kann. Das haben in jüngerer Zeit Ruanda, Dafour, Irak und Afghanistan bewiesen. Auch die Ukraine wird von den Bildschirmen verschwinden, sobald sie ihren Dienst erfüllt hat.

Israel hat das Recht auf Selbstverteidigung, mehr noch, die Pflicht, seine Bürger, vor allem die Wehrlosen, vor blinder Gewalt zu schützen. Aber die Bewohner des Gazastreifens dürfen nicht in Sippenhaft genommen werden. Sie werden nach meiner Einschätzung letztlich die Verlierer sein. Israel wird gestärkt, wenngleich in Trauer, aus dem Überfall hervorgehen, denn nichts schweisst eine Gemeinschaft mehr zusammen als ein gemeinsamer Feind, geteiltes Weh. Palästinenser und ihre Versteher  im Westen sind im Dilemma gefangen. Unterstützen sie die Hamas und deren Ziele gelten sie als Fackelträger für Terroristen. Distanzieren sie sich von der Hamas, sind sie Verräter und Freunde des Feindes. Mit den «Besatzern» verhandeln (wollen) geht schon gar nicht.

Die Gleichschaltung wirkt sogar in der beschaulichen Schweiz. Rufen Zürcher Studentengruppen zu Solidarität mit Gaza auf, werden sie von der Unileitung gerügt. Bislang. Pro-Palästina-Kundgebungen in Frankreich wurden verboten, auch in der eigentlich neutralen Schweiz, gross ist die Angst vor Gewaltakten. Nach dem Mord an einem französischen Lehrer und der Erschiessung zweier Schweden in Brüssel (angeblich soll der Täter gezielt Ungläubige im Visier gehabt haben) wohl zu Recht.

Staatsrechtler in der Schweiz monieren, solche Verbote seien heikel weil sie ein Grundrecht einschränken. Eine Randbemerkung dazu: wie hätte ich mir solch beherztes Einschreiten für unsere Verfassungsrechte zu Corona-Zeiten doch gewünscht. Aber eben, um bei Orwell zu bleiben, alle Tiere sind gleich, aber gewisse Tiere sind halt doch gleicher als andere.

Vielleicht sind die «normalen» Menschen in Israel und den Autonomiegebieten es überdrüssig, in einem ständigen Ausnahmezustand zu leben. Ob das ihre Führer auch so sehen? Viele haben aus dem endlosen Zwist Profit geschlagen. Für die arabischen Despoten ist Israel ein willkommener Sündenbock. Indem sie auf die Missetaten des Erzfeindes zeigen, guckt niemand genauer hin, wie es mit den Menschenrechte bei ihnen zuhause aussieht, in Jemen, Kuweit, Aegypten, Jordanien, dem gescheiterten Libanon.

Wenn zwei sich streiten…

Nun blasen IDF und Hamas zum totalen Krieg. Häuserblock um Häuserblock. Die Zivilisten sollen evakuiert werden vor den Bombenabwürfen auf Krankenhäuser oder Moscheen, in denen sich Kampftrupps verschanzen. Es wird nicht zu verhindern sein, dass Gaza schliesslich in Schutt und Asche liegt und spätestens dann ist es vorbei mit dem Verständnis für Goliath Israel. Verkehrte Welt.

Die vielgepriesene Zweistaatenlösung war für mich persönlich nie eine Lösung. Nicht, solange die eine Partei die andere von der Landkarte tilgen will. Um Golda Meir sinngemäss zu zitieren: Legen die Palästinenser die Waffen nieder ist morgen Frieden im Nahen Osten. Legt Israel die Waffen nieder, gibt es Israel morgen nicht mehr. Nach Ägypten, Jordanien und VAE war Saudi Arabien drauf und dran, eine Partnerschaft mit Israel einzugehen. Ob diese schrittweise Normalisierung in der Region dem Iran zu weit ging und die Ayatollahs die lachenden Dritten sind?

Die Sieger  schreiben die Geschichte. Hätten die Habsburger gewonnen, wäre Willhelm Tell ein Terrorist und kein Nationalheld.

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