Gedankensplitter zum Plakat-Streit, der im gestrigen Club auf SF1 debattiert wurde. Als Ignostikerin habe ich ja absolut kein Problem mit einem persönlichen “Glauben”, denn dieser stimmt für den Einzelnen und wird der Allgemeinheit in der Regel kaum Zugeständnisse abverlangen. Anders ist es mit dem personifizierten Gott, der sich alle paar Aeonen „offenbart“ und seinen Auserwählten sehr genaue Vorgaben macht, wie die gesamte Menschheit sich unter Strafandrohung zu verhalten habe. DAMIT fangen die konkreten Probleme an, weil ein solcher Gottesbegriff Hand in Hand mit Missionierung und Einmischung ins politische Geschehen geht.
Ich empfinde es an der Grenze zur Peinlichkeit, wenn man den Leuten Mikrophone unter die Nase rammt und sie verhört: „Woran glauben Sie denn, Miss und Mister Schweiz?“, denn hier geht es um eine dermassen intime Frage, dass ihre marktschreierische Erörterung fast „pornographisch“ anmutet. Umgekehrt drücken sich Interviewer beharrlich davor, den landläufigen, „öffentlichen“ Glauben zu hinterfragen und deren Vertreter in den Schwitzkasten zu nehmen.
Die Botschafter des Zweifels
So fiel im Club ein Nebensatz, der mich aufhorchen liess aber von den Talkgästen geflissentlich ingnoriert wurde: Der reformierte Pfarrer von Oberägeri hat offiziell bekundet, dass er das Verbot der Plakate missbilligt. Er teilt den Zweifel, den unsere Botschaft im oft kritisierten „wahrscheinlich“ in den Raum stellt. So gibt er unumwunden zu, dass auch er nicht wissen könne, ob es den Herrgott gäbe. Nur, dank seinem “Glauben” – der keiner Evidenz bedürfe – vertraue er darauf und wolle dafür einstehen, dass die Kirchen weiter ein Bollwerk sind gegen eine Entwicklung, die ihm Sorge bereitet: Die Privatisierung der Religion. Wobei ich eher vermute, dass ihm der Gedanke widerstrebt, die Bürger könnten nicht ihren inneren, privaten Glauben sondern die Institution Kirche hinterfragen. Was, wenn eine Mehrheit entschiede, überholte “Solidaritätswerke” jenen zu überlassen, auch finanziell und organisatorisch, die sie für gut befinden und sie nicht weiter künstlich aufrechtzuerhalten?
Ich deute seine Worte so: die meisten Würdenträger – vor allem die intellektuell Redlichen – sind eigentlich verkappte Agnostiker, sie „fühlen“ den Zweifel, „leben“ aber den Glauben. Dem Volk muten sie diesen geistigen Spagat nicht zu und beharren darauf, dass ihre Schäfchen am Heiland, dem Christkind und dem Rest der Folklore festhalten. Manch einer glaubt aber auch schlicht aus Opportunismus (s. Pascals Wette). Damit jene, die ihren Agnostizismus ehrlich bekennen und praktizieren nicht die Oberhand gewinnen und den nackten Kaiser als solchen entlarven, verbreiten die Glaubenshüter wacker Unwissen, Vorurteile, und im Falle des Freikirchlers Verunglimpfungen und Höllenversprechen gegen Andersdenkende.
Schön, haben wir darüber gesprochen?
Bei Röbi Koller wurde langatmig über den Wortlaut der Kampagne gestritten, womit die Kernanliegen der FVS einmal mehr im lauten Umgebungsrauschen untergingen. Auch im Club wurde aus der anfänglichen griffigen Grundsatz-Diskussion (Meinungs- und Gewissensfreiheit, Klerkalismus) eine anekdotische Spurensuche, Nahtod-Erlebnis inklusive. Und dennoch muss unbedingt breit über Laizität, d.h. die Neutralität des Staates diskutiert werden. Der geläuterte „Despot“ aus St. Gallen, FDP-Stadtrat F. Brunner, der seinerzeit ein weitaus harmloseres Plakätchen auf den städtischen Bussen verboten hatte scheint mir da typisch. Durch Konditionierung wird Kritik an den “christlichen Werten” des Abendlandes reflexartig abgelehnt. Bei genauerer Betrachtung aber plötzlich zu einem persönlich wie auch politisch ungemein interessanten und wichtigen Denkanstoss.
Auf Hugo Stamms Tagesanzeiger-Blog meinte einer, es gäbe wichtigere Probleme als die Trennung von Kirche und Staat. ZBsp. die Wirtschaftskrise. Ist es verwunderlich, dass auch die Diskussion darüber religiös-verbrämt geführt wird? Sie sei das Produkt von Habsucht und Masslosigkeit – pikanterweise Varianten der Todsünden Geiz und Völlerei. Sie liefert uns jedoch auch eine inhaltliche Steilvorlage: wieso sollen bernische Kirchenleute faktisch als Staatsdiener besoldet werden, während andere Berufsgruppen sich dem Markt mit seinen unerbittlichen Regeln unterwerfen müssen? Wieso sollen Firmen Einrichtungen mitfinanzieren, die weder „systemrelevant“ sind noch irgendwann von ihnen beansprucht werden könnten? Die öffentliche Religionskritk stellt den Bürger vor die Grundsatzfrage: wieviel Freiheit und Macht über sich ist er bereit abzugeben, an den Bundesrat oder den Dorfpfarrer, den Nachbarn oder die UNO, und wie legitimieren diese ihre Ansprüche?
PS: Eben ist das Anti-Minarett-Plakat von der Rassismuskommission scharf kritisiert worden. Solche Nebenwirkungen der auch hierzulande zelebrierten Political Correctness erinnert an den geschichtlichen „Bildersturm“. Wer befindet darüber, welche „Wahrheiten“, bzw. wieviele „Wirklichkeiten“ oder Interpretationen davon, der Bevölkerung zugemutet werden können? Verdichten sich solche Tendenzen gar zum Orwellschen Albtraum mit „Wahrheitsministerium“, „Neusprech“, „Thought crime“? Bereits lassen wir Plakatsujets beim leisesten Verdacht auf ein potentielles “Aergernis” von selbsterannnten Experten absegnen – ein weiterer Versuch, das Volk unter wechselnden Vorwänden zu bevormunden?