Kürzlich nahm Hugo Stamm an einem Club-Gespräch auf SF1 teil, das sich dem Thema alternative Heilpraktiken vs. Schulmedizin bei Krebs und anderen schweren Erkrankungen widmete und einmal mehr den unüberbrückbaren Konflikt zwischen Glauben und Wissen aufzeigte. Tags darauf klickte ich mich ins Blog ein, das der Journalist auf der Tagesanzeiger-Website unterhält. Da wird über Esoterik und Religion, Karma, Spiritualität und andere paranormale Phänomene diskutiert, und man tauscht sich auf variierendem Niveau über Einsteins Religionsquotienten*) ebenso wie über Quantenphysik und Homöopathie aus. Hugo Stamm ist bekannt für seine kritische Haltung gegenüber Sektierern aller Couleur. Umso erstaunter war ich, als sich ein Leser an der etwas unwirschen Reaktion eines Atheisten störte, der einen besonders eifrig missionierenden Bibelbruder als „irren Wirrkopf“ betitelte.
Da konnte ich nicht umhin hervorzuheben, dass das Forum schliesslich von einem bekennenden Skeptiker betrieben wird. Wieso denn Anstoss nehmen, wenn hier Gleichgesinnte ihre Meinung kundtun? Im Gegenzug müssen sich der Moderator und seine Mitstreiter ja auch ständig mehr oder weniger aggressive Bekehrungsversuche gefallen lassen – welches Verzücken, welche Geborgenheit blieben den Zweiflern doch verwehrt, posaunen Heerscharen surfender Apostel, werden Evangelium und Koran zitiert, um uns auf den Pfad der Tugend zurückzuholen.
Ein überzeugter Christ war voller Mitleid und Unverständnis dafür, dass einige partout nicht an Gott und seine Liebe glauben wollten. Nun, meine Erfahrung zeigt, dass der ursprüngliche Zustand eben gerade die Nichtreligiosität ist, dass Kinder zwar die Welt als wundersam erfahren. Alles ist Magie und Mysterium, die Natur ein Tummelplatz für Feen und Kobolde, gute und böse Geister. Keines dieser Wesen wird aber je mit den abrahamitischen Wüstengöttern in Verbindung gebracht. Mit zunehmendem Alter reift der Verstand und entzaubert nach und nach unsere Phantasiekonstrukte. Einzig die Kenntnis der Gesetze von Ursache und Wirkung, von Zufall und Plausibilität gibt uns Halt in einer gnadenlos chaotischen Welt. Das Staunen, die Demut gegenüber den Rätseln unserer Existenz begleitet den Atheisten ein Leben lang, während der Gläubige schon früh zu den überlieferten Wahrheiten „heimfindet“.
Woher – wohin: wir wissen es nicht
Pubertierende reagieren mit heftiger Ablehnung und Verachtung auf die Ausflüchte und wackligen Gewissheiten, mit denen Erwachsene ihre eigenen Parodoxien und inneren Ängste kaschieren. Von Geburt an versucht der Mensch, sich und seine Umgebung mit allen verfügbaren Instrumenten zu erfassen. Allmählich werden wir für Logik und Sachzwänge empfänglicher, sofern man uns den „Glauben“ nicht bereits mit der Muttermilch einträufelt und uns somit jeglicher Fähigkeit beraubt, die Dinge kritisch zu hinterfragen. Unbewusste Prägungen lassen sich schwerlich abstreifen. Dabei wird uns unsere angeborene Offenheit zum Verhängnis. Nur dadurch, dass Kinder Älteren instinktiv glauben und ihnen folgen, können wir sie vor Schaden bewahren und ihnen Fertigkeiten vermitteln. Umso verantwortungsvoller und behutsamer sollten wir mit ihrem Vertrauen umgehen.
Dazu braucht es eine möglichst grosse intellektuelle Korrektheit. Alle sind wir ständig auf der Suche nach Sinn. Da ist es aufrichtiger, auf die unendlich vielen Warum und Wieso der Kleinen mit einem ehrlichen Schulterzucken zu antworten, als sich in irrationale Erklärungsversuche zu flüchten, ihnen Engel vorzugaukeln und mit bärtigen Greisen zu drohen, die im Himmel über jeden unserer Schritte Buch führen! Wer Jugendlichen abstruse, unüberprüfbare Thesen auftischt verspielt jegliche Autorität und macht sich mitschuldig an der Verführbarkeit kommender Generationen durch Machtpolitiker oder Gurus, manipulative Werber und Quacksalber, die nicht selten in schlimmen Abhängigkeiten endet.
Ohne Respekt ist keine Erziehung, keine Führung möglich. Den müssen wir uns durch Ehrlichkeit und Konsequenz verdienen. Missbrauchen wir die Zugänglichkeit unserer Schutzbefohlenen machen wir sie zu leichten Opfern von Rattenfängern jeder Art. Ob wir nun im Kollektiv auf „MySpace“ für Aidskranke beten, unsere Teenies die revolutionäre Mascara von Garnier kaufen, „weil sie es sich wert sind“, oder Allergiker sich Globuli unter die Zunge klemmen – als naive Lämmer geboren, werden wir zu Schafen – pardon – Konsumenten dressiert. Für allerlei Wundermittel bezahlen wir mit Geld, für’s Paradies sollen wir gar sterben.
*) In einem kürzlich vesteigerten Brief äussert sich der Wissenschaftler unmissverständlich zur Religion: „Das Wort Gottes ist für mich nicht mehr, als der Ausdruck und das Produkt menschlicher Schwächen. Die Bibel ist eine Sammlung ehrbarer, aber dennoch primitiver Legenden, welche doch ganz schön kindisch sind. Keine Interpretation, wie feinsinnig sie auch sein mag, kann das (für mich) ändern.“